„Ach! Welch‘ Anmuth, welch Wohlbehagen gewährt der Ort“. Diese Textzeile stammt aus der Predigt, die der Magdeburger Rabbiner Dr. Ludwig Philippson am 30. August 1850 zur Einweihung der Synagoge in Eisleben hielt.
Es war ein freudiges Ereignis für die israelitische Gemeinde. Zu ihr gehörten damals nicht nur die in Eisleben ansässigen Juden. Auch die jüdischen Einwohner der Ortschaften Hettstedt, Schraplau, Leimbach, Sangerhausen und Alsleben zählten zu ihrem Einzugsbereich. Durch Um- und Ausbau des Hauses war ein den Bedürfnissen der wachsenden Gemeinde angemessener Ort entstanden: die „Neue Synagoge“. Im Stadtarchiv Eisleben findet sich noch der Antrag mit den Bauplänen des Architekten aus dem Jahr 1850. Im Haus war ein großzügiger Betraum entstanden, über zwei Etagen, ein hoher Raum mit Frauenempore, Thoraschrein und Bima, dem Lesepult für die Thorarollen. Die Predigt zur Einweihung am 30. August 1850 hielt der Magdeburger Rabbiner Dr. Ludwig Philippson (1811-1889). Er erinnerte die versammelte Gemeinde an die jahrtausendealte Tradition jüdischen religiösen Bekenntnisses und gab den Anwesenden mit auf den Weg, das neue Haus mit Leben zu erfüllen und vor allem, es für künftige Generationen zu bewahren. Bei dieser Einweihung waren auch die Vertreter der Stadt und der christlichen Gemeinden dabei, ein Zeichen für die Akzeptanz der Jüdischen Gemeinde.
Dieses Vermächtnis zu erfüllen, das ist den Mitgliedern der jüdischen Eisleber Gemeinde über acht Jahrzehnte, von 1850 bis 1938, auch gelungen, dann wurde die Traditionslinie gewaltsam beendet. Denn auch in Martin Luthers Geburtsstadt Eisleben ist die Synagoge, die sich nur wenige Häuser entfernt von seinem Geburtshaus befand, verwüstet und geplündert worden. Jüdische Geschäfte wurde überfallen, jüdische Eisleber Bürger gedemütigt und tätlich angegriffen. Der Kantor der Eisleber jüdischen Gemeinde, Gustav Mosbach (geb.1877), war unter den über zehntausend jüdischen Männern, die nach den Übergriffen in das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar verbracht wurden. 1942 ist er in Sobibór ermordet worden. Aber die Eisleber Synagoge war nicht unter denen, die angezündet und völlig zerstört worden sind. Denn in der kleinen Gasse, in der die Häuser noch heute dicht gedrängt stehen, bestand die Gefahr eines Übergreifens des Feuers auf die Nachbarhäuser. Dennoch war sie verloren. Denn im Zuge der „Arisierung“ jüdischen Eigentums wurde das Haus 1938 vom NS-Staat enteignete und verkauft. Die Erinnerung an alles Jüdische sollte getilgt, die Synagoge zum Wohn- und Geschäftshaus umgebaut werden. Dieser Plan konnte vom neuen Eigentümer jedoch mitten im Krieg nicht realisiert werden.
Am Ende des NS-Regimes 1945 diente die geschändete Synagoge zunächst als Notquartier für Vertriebene, dann wurde das Gebäude vorübergehend durch die Neuapostolische Kirche genutzt. Das es einst das Zentrum des jüdischen Lebens der Stadt und der Region war, wurde verdrängt und war schließlich vergessen. Denn in den 1950er Jahren erfolgte der schon 1939 geplante Umbau zum Wohnhaus.
Ein Stück verlorener Geschichte?
„Habet Ihr aber dieses Haus gebauet, nun so muß es dies auch in seiner Erscheinung sein, und von Euch also erhalten werden.“ Dieses Vermächtnis, das Rabbiner Dr. Ludwig Philippson der Eisleber israelitischen Gemeinde anlässlich der Einweihungsfeier am 30. August 1850 ans Herz legte und das sie an ihre Nachfahren weitergeben sollte, konnten die Überlebenden der Shoa und deren Kinder und Enkel nicht erfüllen. Denn keiner von ihnen kehrte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nach Eisleben zurück. Aber das Haus, das bis 1938 ihre Synagoge war, gab es ja noch immer. Trotz des Umbaus war die „Erscheinung“ des Hauses, die auf eine ehemals ganz andere Funktion hindeutete, nicht ganz zerstört. Die hohen, über zwei Stockwerke reichenden und in ihrer Form ungewöhnlichen Fenster, die noch erkennbar waren und die zu diesem kleinen Haus eigentlich nicht passten, verrieten das. Nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik 1990 sollte das Gebäude verkauft werden. Der damit bevorstehende erneute Umbau drohte nun auch die letzten Hinweise auf seine ursprüngliche Funktion verschwinden zu lassen. Nichts würde dann mehr daran erinnern, dass es in Luthers Geburtsstadt von 1850 bis 1938 eine Synagoge, das Zentrum des religiösen und kulturellen Lebens der jüdischen Gemeinde gegeben hatte.
Eine kleine, engagierte Gruppe historisch interessierter Bürgerinnen und Bürger, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Erinnerung an die zwischen 1933 und 1945 vertriebenen und ermordeten jüdischen Bürger und an das einstige jüdische Leben in der Lutherstadt Eisleben zu bewahren, sahen sich auch als Erben der 1938 geschändeten Synagoge. Sie gründeten 2001 einen Förderverein mit dem Ziel, die ursprüngliche Form und den Charakter des Hauses so weit als möglich wiederherzustellen und das Haus zu einer Erinnerungs- und Begegnungsstätte auszubauen. Diese Initiative geschichtsbewusster Bürgerinnen und Bürger hat bewirkt, dass Luthers Geburtsstadt Eisleben dieses Erbe als ihre Verpflichtung erkannte und danach handelte. Das Haus wurde nicht verkauft. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft erwarb die ehemalige Synagoge und investierte in den Erhalt des Gebäudes und in erste Umbaumaßnahmen. Der Grundstein zum Erhalt des Gebäudes war damit gelegt. Zumindest die Vorderfront erinnerte nun wieder an die einstige Synagoge.
Seit dem Jahr 2010 sind die Mitglieder des Vereins Eisleber Synagoge e.V. Eigentümer von Grundstück und Haus und tragen auch die finanzielle Verantwortung für die Realisierung des Projekts. Der kleine Verein bemüht sich nun seit fast zehn Jahren hartnäckig um die dringend nötige Sicherung des Gebäudes und den weiteren Um- und Ausbau. Dazu braucht es mehr Mitstreiter im Projekt und vor allem auch finanzielle Unterstützung. Denn das Engagement für das Projekt „Eisleber Synagoge“ ist gerade heute, in einer Zeit, in der sich antisemitische Stimmungen wieder verbreiten, ein wichtiger Beitrag zur Bewahrung der Erinnerung an das jüdische Kulturerbe in unserer Region Mansfeld-Südharz.
Dr. Monika Gibas
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