Die Gedenkfeier zum 70. Jahrestag der Reichspogromnacht begann am Nachtmittag mit einem Vortag über die Situation der jüdischen Mitbürger in Eisleben Ende 1938 und über ihr weiters Schicksal.
Die deutschen Behörden gaben 1938 an, 191 Synagogen seien zerstört und 96 Juden ums Leben gekommen. Heute nimmt man an, dass 1.400 bis 1550 Synagogen und Betstuben zerstört oder demoliert worden sind. Zudem wurden 2.500 Juden ermordet oder nahmen sich aus Verzweiflung das Leben.
Ende 1938 lebten in Eisleben noch 15 Familien mit etwa 45 Menschen. Davon konnten noch 22 entkommen, 23 wurden ermordet. Wer waren diese Menschen? Dieser Frage ging ich in meinem Vortrag nach. Dabei kam es mir besonders darauf an, dem Eisleber Publikum nahe zu bringen, wie tief verwurzelt diese Familien in das Alltagsleben waren. Schaut her, hier wohnten sie, hier gehen wir fast täglich vorbei. Für einen kurzen Moment sollten die Opfer mehr sein, als ein Name auf einer Liste.
Was geschah eigentlich am neunten November in Eisleben geschah. Und was macht dazu am einfachsten? Man schaut in die Zeitung. Was stand denn am 10.11.1938 in Eisleben über die Pogrome in der Zeitung? Nichts! Man findet lediglich einen knappen und propagandistisch gefärbten Artikel über die Ereignisse in Halle. Ansonsten ist das „Eisleber Tageblatt“ übervoll mit Berichten zur Feier der Ereignisse des 9.11.1923. Erst am 11.11. finden wir diesen knappen und geschönten Artikel:
Kein Wort zu der Schändung der Eisleber Synagoge, den Zerstörungen an jüdischen Geschäften, den Misshandlungen an jüdischen Mitbürgern oder die Verhaftungen von Juden in die so genannte Schutzhaft. Erst recht kein Wort zu der Zerstörung von über 1.400 Synagogen und Betstuben im Deutschen Reich, keine zwei Tage zuvor.
Im zweiten Teil des Vortrages zeigte ich den Stadtplan von Eisleben, auf dem die Wohnungen der 15 jüdischen Familien eingetragen sind:
Dann erläuterte ich zu jeder einzelnen Familie und jedem einzelnen Familienmitglied was wir über sie wissen. Das Ergebnis läßt sich leider nur wieder in einer Liste zusammenfassen. Detaillierte Informationen stellen wir im Abschnitt „Gedenkbuch“ zur Verfügung:
1) Bahnhofstr. 10
Frank, Franziska 1874 – 1944 Ermordet
2) Freistr. 23
Moses, Johanna 1887 – 1942 Ermordet
Moses, Julius 1882 – 1942 Ermordet
Moses, Siegfried 1925 – 1942 Ermordet
3) Friedensstr. 5
Graumann, Erika 1906 – 1947 Exil
Graumann, Erwin Adolf 1900 – 1969 Exil
Graumann, Michael 1929 Exil
Graumann, Gisela 1936 Exil
4) Geiststr. 6
Katzenstein, Alfred, 1882 – 1942 Ermordet
Katzenstein, Paula 1883 – 1942 Ermordet
5) Hallesche Str. 21
Gottschalk, Martha *1877 Exil
6)Vicariatsgasse 3
Weißbrodt, Berta 1905 – 1965 Exil
Weißbrodt, Dieter *1936 Exil
Weißbrodt, Jankel 1900 – 1965 Exil
7)Klosterplatz 3
Wertheim, Adolf 1891 – 1976 Exil
Wertheim, Alfred 1900 – 1979 Exil
Wertheim, Bertha 1863 Exil
Wertheim, Hedi 1960 Exil
8) Lutherstr. 25
Mosbach, Gustav 1877 – 1942 Ermordet
Mosbach, Hedwig 1880 – 1942 Ermordet
Salmons, Charlotte 1904 – 1985 Exil
Salomons, Lore *1927 Exil
Salmons, Hanna *1937 Exil
9)Markt 39
Königsberger, Jenny 1895 – 1942 Ermordet
Königsberger, Ludwig 1891 – 1942 Ermordet
Königsberger, Marietta 1925 – 1942 Ermordet
Königsberger, Meta 1866 – 1943Ermordet
Königsberger, Wilhelm 1854 – 1942 Ermordet
10) Markt 47
Mendelsohn, Amalie *1869 Vermutlich ermordet
Mendelsohn, Gerhard 1935 – 1941 Ermordet
Mendelsohn, Hans Joachim 1896 – 1941 Ermordet
Mendelsohn, Lina 1900 – 1941 Ermordet
11) Markt 54
Schottländer, Georg 1859 – 1942 Ermordet
12) Markt 54
Salomon, Gertrud 1875 – 1943 Vermutlich Exil
13) Petristr. 3
Moses, Albert *1875 Vermutlich Exil
Moses, Dora 1873 – 1943 Ermordet
Moses, Heinz *1915 Vermutlich Exil
Moses, Kurt 1908 Vermutlich Exil
Moses, Otto *1916 Vermutlich Exil
Moses, Regina *1875 Vermutlich Exil
Moses, Rudolf *1909 Vermutlich Exil
Moses, Walter 1911 Vermutlich Exil
Moses, Werner 1912 Vermutlich Exil
14) Rammtorstr. 49
Bratel, Gerhard Heinz 1912 – 1944 Ermordet
Bratel, Jacob 1869 – 1943 Ermordet
Bratel, Martha 1886 – 1943 Ermordet
15) Markt 49
Isenberg, Siegmund 1867 – 1943 Ermordet
Sebastian Funk