TAGEBUCH

An der Chausseestraße 33 in Klostermansfeld hatten Max und Lotte Bluhm 1923 ihren Bekleidungs- und Schuhladen gegründet.

STOLPERSTEINE FÜR DIE FAMILIE BLUHM IN KLOSTERMANSFELD

Heute wurden in Klostermansfeld die beiden Stolpersteine für die Familie Bluhm verlegt. Der Vikar Friedemann Krumbiegel hat den 70. Jahrestag der Reichspogromnacht zum Anlass genommen, um in Klostermansfeld nach dem Schicksal der Bluhms zu fragen. Er befragte Zeugen, recherchierte in Archiven und lud schließlich den Künstler Gunther Demnig zur ersten Verlegung von Stolpersteinen im Mansfelder Land. Dies ist sein Bericht über die Geschichte der Familie Bluhm.

I.    Max Bluhm wird am 30. März 1886 in Groß Siebsau (Westpreußen) geboren. Er ist das jüngste Kind unter zwölf Geschwistern. Lotte Minna Weissfeld wird am 20. Juni 1889 in Zempelburg (Westpreußen) geboren. Wie Max Bluhm stammt sie aus einer religiösen jüdischen Familie. Das Ehepaar Bluhm bekommt keine eigenen Kinder. Im Ersten Weltkrieg kämpft Max Bluhm als deutscher Soldat und erhält das Eiserne Kreuz erster Klasse. Der Bruder von Lotte Minna, Adolf Weissfeldt, kämpft ebenfalls auf deutscher Seite und fällt 1915 „für das Vaterland“. Nachdem durch den Versailler Vertrag große Teile Westpreußens 1920 zu Polen kommen, wandert die Familie Bluhm nach Deutschland aus. Max und Lotte Minna Bluhm ziehen zunächst nach Berlin, dann über Halle nach Klostermansfeld.


II.    Im Jahr 1922/23 erwirbt die Familie Bluhm das Haus Nummer 33 in der Chausseestraße (später Hermann-Göring-Straße). Sie errichtet ein Bekleidungs- und Schuhgeschäft „Gebrüder Bluhm“. Das Geschäft ist allgemein gut angesehen. Bergarbeiter können anschreiben lassen. Herr Bluhm beteiligt sich am gesellschaftlichen Leben des Ortes, besucht den Kegelclub, ist u.a. befreundet mit der Familie Kelsch, die im selben Jahr eine Bäckerei gegründet haben. Die Eheleute Max und Lotte Minna Bluhm sind als Mitglieder der jüdischen Synagoge in Eisleben eingetragen. Noch 1949 erkundigt sich die Schwester von Max Bluhm nach „den Eislebner Glaubensbrüdern u Schwestern“.


III.    Bei den Reichtagswahlen 1932 erhält im Mansfelder Gebirgskreis die NSDAP am 31. Juli mit 42,2 % und am 6. November mit 33,1% jeweils die relative Mehrheit. Am 30. Januar 1933 wird Hitler zum Reichskanzler ernannt. Unter den Nationalsozialisten wird am 29. März 1933 ein „Zentralkomitee zur Abwehr der jüdischen Greuel- und Boykotthetze“ gebildet und für den 1. April 1933 zum Boykott gegen die Juden aufgerufen. An diesem Sonnabend werden ab 10 Uhr vormittags Wachen der SA und SS vor die registrierten jüdischen Geschäfte gestellt. Auch vor dem Bluhmschen Haus stehen ab diesem Tag zwei ortsansässige SA-Männer. Dem Geschäft gegenüber wird ein Schild aufgestellt mit der Aufschrift: „Wer bei Juden kauft, ist ein Volksverräter!“ Personen, die trotz dieser Warnung in das Geschäft gehen, werden fotografiert. Die Fotos werden dann während der Abendveranstaltung im örtlichen Kino gezeigt: Diese Bürger unseres Ortes haben beim Juden gekauft!


IV.    Am Abend des 9. November 1938 findet ein Fackelumzug durch Klostermansfeld statt. Er endet vor dem Haus der Familie Bluhm. Die Schaufensterscheiben werden kaputtgeschlagen und das Geschäft teilweise geplündert. Frau Bluhm habe regungslos am (im?) Haus gestanden und immer wieder gerufen: „Wir haben doch nichts Böses getan …“   In den Folgetagen werden die Schaufenster zugenagelt. Die Bluhms müssen für die Schäden am und vor dem Haus selbst aufkommen, die durch den „Ausbruch gesunden Volkszorns“ (Goebbels) entstanden sind. Im Ort zeigt sich Herr Bluhm fortan „richtig ängstlich“. In Leipzig stirbt der Bruder Arnold Bluhm an den Folgen der Pogromnacht.


V. Das Geschäft darf nicht wieder geöffnet werden. Immer seltener zeigt sich Herr Bluhm in der Öffentlichkeit. In der Bäckerei sagt er, er könne nicht mehr kommen, weil er im Ort angepöbelt werde. Die Einkäufe übernimmt seit Anbruch des Krieges Herr Bormann (gest. 1993). Ab Juni 1940 muss der 54jährige Max Bluhm von Sonntagabend bis Samstagmittag schwerste Zwangsarbeit in Halle leisten. Für die Fahrt nach Halle braucht er  Sonder-genehmigungen. Verpflegt und untergebracht wird er wahrscheinlich von der  Synagogen-gemeinde in Halle. Zunächst arbeitet Max Bluhm im Hüttenwerk Halle-Trotha, Brachwitzer-Str. 9, später im Reichsautobahnbau (gemeldet am 29. Oktober 1940). Da das Ehepaar keine Kinder hat, ist zu vermuten, dass Frau Bluhm ebenfalls zum Arbeitsdienst eingesetzt wurde. Seit dem 01. September 1941 besteht Kennzeichnungspflicht für Juden. Herr Bluhm trägt neben dem „Gelben Stern“ demonstrativ das Eiserne Kreuz.


Das Schicksal von Max und Lotte Minna Bluhm aus Klostermansfeld

VI.    Am 11. April 1942 erhält das Ehepaar Bluhm zusammen mit 153 jüdischen Personen die Mitteilung, sie werden auf „Abwanderung“ gehen. Der Begriff „(Ab-) Wanderung“ umschreibt im Nazi-Jargon die Deportation. Mitte April müssen sie sich in Halle zur Registrierung einfinden und eine detaillierte Auflistung ihres Besitzes einreichen. Am 30. Mai 1942 trifft das Ehepaar Bluhm in Halle ein. Sie werden am 01. Juni mit einem Transport aus Kassel, der 509/1000 Personen umfasst, über Chemnitz und das KZ Izbica in das Vernichtungslager Sobibor deportiert. Insofern sie nicht schon auf der Reise den Strapazen erlegen sind, werden sie am 3. Juni unmittelbar nach der Ankunft mit Kohlenmonoxid vergast.


Max Bluhm wird im Alter von 56 Jahren ermordet, seine Frau im Alter von 52 Jahren.


Friedemann Krumbiegel