Jeder in Eisleben kennt wohl den großen HO. Vor dem Krieg war es das Kaufhaus Goldstein, gegründet von der jüdischen Kaufmannsfamilie Goldstein. In der zweiten Generation führte Benno Goldstein das Geschäft zu Größe und Blüte. Die Firma hatte zuletzt über 50 Mitarbeiter. Er kümmerte sich auch um das Gemeinwohl. So war Goldstein einer der Hauptsponsoren für das seinerzeit errichtete Eisleber Freibad. Benno Goldstein war in Eisleben sehr prominent. Noch heute erzählen die alten Leute Geschichten über ihn, die immer davon handeln, wie freundlich und freigiebig er war. Auf Druck der Nationalsozialisten musste die Familie 1938 ihr gesamtes Eigentum veräußern und das Land fluchtartig verlassen. Bis heute war unbekannt, wohin Benno Goldstein mit seine Frau Vally ging und wo er seine letzten Jahre verbrachte.
Heute können wir Ihnen ein Interview mit der Enkeltochter Frau Steffi Cohen-Weinbaum präsentieren, die uns erzählt, wie die Geschichte weiter ging:
C.: Mein Name ist Steffie Cohen-Weinbaum. Meine Eltern Hugo Weinbaum und Hildegard Alice, geborene Goldstein, sind in 1933 nach Amsterdam emigriert. Ich bin in 1934 hier in Holland geboren. Meine Grosseltern Benno und Vally Goldstein kamen in 1938 auch hierher. Seitdem sind wir in Holland geblieben. Meine Grossmutter, Vally Goldstein-Bieber ist dann 1947, nachdem ihr Mann verstorben war, nach Kalifornien ausgewandert. Da waren schon zwei ihrer Töchter. Die vierte Tochter war in Australien.
Meine Mutter hatte 3 Geschwister. Von meiner Mutters Seite hat die ganze Familie die Verfolgung durch die Nationalsozialisten überlebt.
F.: Es kommt nicht so oft vor, dass Menschen Ihrer Generation im Internet unterwegs sind und Emails schreiben.
C:: Ich habe drei Enkel in Israel und drei in Australien. So muss ich schon kommunizieren können. Nur kann ich nicht mit den deutschen Umlauten umgehen. Ich habe eine Cousine, Sabine, in Australien, die hat guten Kontakt mit der Familie Graumann in den USA. Erwin und Erika Grauman-Goldstein hatten zwei Kinder: Michael und eine jüngere Tochter Alice. Erika ist jung gestorben. Ungefähr 1949.
Mein Vater Hugo Weinbaum hat nie in Eisleben gewohnt, sondern in Nordhausen. Sein Geschäft war von Benno Goldstein. Es hieß Kaufhaus Schönbeck. Ich denke, dass Benno Goldstein es von einer Familie Schönbeck hat gekauft. Mein Vater hat das Geschäft für seinen Schwiegervater geleitet.
Aber meine Grosseltern Benno und Vally Goldstein-Bieber mit ihren vier Töchtern: Elisabeth Furth, Hildegard Weinbaum (meine Mutter), Erika Graumann und Gertraut Gutmann, die 2 jüngeren in Amerika, Elisabeth in Australien.
Ich habe ein sehr schönes Foto von den vier Töchtern zusammen. Von vor 1933. Das schicke ich Ihnen mit der Post. Auch von meinen Grosseltern Benno und Vally Goldstein.
F.: Wie konnte Ihre Familie den Krieg überleben? Wurde sie versteckt?
C.: Meine Eltern sind in 1933 nach Holland gekommen und ich bin in ’34 geboren. Im Krieg waren wir versteckt. Mein Vater begegnete im Krieg einem deutschen Offizier, der desertiert war. Beide kamen aus Königsberg in Ostpreußen. Das gab einen Band. Der Offizier, Herr Dr. Wander war bekannt mit Callmeyer, bekannt durch die sogenannte Callmeyer-Liste. Auf die Liste kamen alle Juden, wovon es nicht sicher war, ob es sich wirklich um Juden handelte. Man konnte ein Jahr auf der Liste stehen bleiben. Die meisten von ihnen wurden deportiert. Wir (meine Grosseltern, Vater, Mutter und ich) wurden „Arier“. Das hiess „arisiert“. Von dem Moment an durften wir den Judenstern ablegen. Das war Ende 1943. Herr Dr. Wander ist auf der Straße erschossen worden als Deserteur. Wenn es Sie interessiert, über die Callmeyer-Liste gibt es einige Bücher.
F.: Sind Sie sich sicher, dass Benno Goldstein in den Niederlanden gestorben ist und dass Vally bis 1947 in den Niederlanden war? Und wie kam es eigentlich, dass Ihre Familie gerade dorthin gegangen ist und warum so früh? Gab es dort schon Verwandtschaft?
C.: Ich bin 100% sicher dass Benno Goldstein in Amsterdam gestorben ist. Da meine Grossmutter noch zwei Töchter in Amerika hatte, ist sie danach mit einem Schiff nach Kalifornien gegangen. In Nordhausen, wo mein Vater das Geschäft hatte, begann alles früher. Da war der Aufschlagplatz der Dora-Waffen-Industrie und auch ein Konzentrationslager. Holland war ganz nahe und im Ersten Weltkrieg war es ja auch frei. Viele deutsche Juden gingen in dieser Zeit nach Holland. Vielleicht dachte man, dass alles wieder vorüber würde gehen. Aber Verwandtschaft hatten wir hier nicht.
F.: Können Sie sich vielleicht an eine Anekdote oder etwas in der Art über ihren Großvater erzählen?
C.: Echte Anekdoten kann ich nicht erzählen. Nur dass er ein sehr sanfter Mann war. Gar kein richtiger Geschäftsmann. Er sah nie das Schlechte im Menschen und redete nie über andere Leute.
F.: Was hat Benno in der Zeit in Amsterdam gemacht? Hat er vielleicht noch im Geschäft mitgeholfen? Oder war er zu deprimiert oder krank? Haben Sie zusammen mit Benno und Wally gewohnt?
C.: Mein Grossvater Benno Goldstein muss etwa 75 Jahre gewesen sein, wo er nach Holland kam in 1938. Wir wohnten nicht zusammen aber wohl ganz nahe. Er kam gerne in das Geschäft meines Vaters. Im Krieg wurde das Geschäft enteignet und musste mein Vater dort arbeiten für einen Manager. Ein Deutscher Offizier. Da kam mein Grossvater und sagte Dinge, die gefährlich waren, und mein Vater musste ihm verbieten, noch in das Geschäft zu kommen.
F.: Als ihre Familie nach Holland kam, wurde ihr die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen. Wie lange dauerte es, die holländischen Papiere zu bekommen?
C.: Bei meine Geburt in 1934 waren wir alle „Staatenlos“. Nach dem Krieg wollte mein Vater gerne Holländer werden. Das hat noch lange gedauert. Er musste erst einen Rechtsanwalt nehmen. Ich glaube bis ungefähr 1948-1949.
F.: Herzlichen Dank für das Gespräch.
Sebastian Funk
Die Geschichte des Kaufhauses Goldsteins ist ausführlich beschrieben in der Veröffentlichung von Rolf Enke: „Die Familie Goldstein und ihre Warenhäuser in Eisleben.“ Neue Mansfelder Heimatblätter Nr. 11, Eisleben 2005.