TAGEBUCH

Wie war das während der Zeit des Nationalsozialismus am Eisleber Gymnasium ? Dieser Frage gingen Klaus Gebhardt und Dr. Martin Hoffmeyer (beide 86) im Unterricht der 9/11-Klässler des Martin-Luther-Gymnasiums Ende Mai nach.

NATIONALSOZIALISMUS AM EISLEBER GYMNASIUM

Wie war das während der Zeit des Nationalsozialismus am Eisleber Gymnasium ?

Dieser Frage gingen Klaus Gebhardt  und Dr. Martin Hoffmeyer (beide 86) im Unterricht der 9/11-Klässler des Martin-Luther-Gymnasiums Ende Mai nach. Am ersten Tag wurden sie zusätzlich unterstützt von weiteren 8 Ehemaligen. Beide Herren pflegen noch immer regelmäßige Kontakte zu den Ehemaligen ihrer Abiturstufe und waren auf Einladung des Synagogenvereins gern bereit über diese Zeit zu berichten. Diesmal fand das 5. von insgesamt 28 Klassentreffen  in der Lutherstadt statt

 

Wichtig war beiden, dass an der damaligen Staatlichen Lutherschule Eisleben für Jungen ein Geist der Freiheit und gegenseitigen Achtung bestand, verbunden mit dem Streben nach Bildung. Dabei waren viele Lehrer stets ein Vorbild und bereit, sich den Problemen und Fragen der Schüler anzunehmen, was auch mit dem Machtantritt der Nazis unter Leitung des Direktors Dr. Fritz Wendt nicht zu unterdrücken war In besonderer Erinnerung und Wertschätzung sprachen beide immer wieder von den Studienräten Johannes Gutbier, Arno Hofmann und Georg Mehldau, der Klassenlehrer, dessen Tochter später in Eisleben  viele Jahre als Lehrerin tätig war, und Dr. Johannes Zeutschel. Letzterer positionierte sich nach den Eisleber Geschehnissen in der Pogromnacht zu seinen Schülern mit den Worten „Das wird nicht gut gehen!“

Interessant auch zu hören, dass in den ersten Jahren das monatliche Schulgeld 18 Reichsmark betrug und der Anteil der Mädchen, die bis zur mittleren Reife (10. Klasse) zunächst das Lyzeum  (heute GS Geschwister Scholl) besuchten, sehr gering war. Ein Beweis dafür, dass viele der Lehrer nicht der NSDAP beigetreten war ist u..a. die Tatsache, dass diese auch nach 1945 weiter unterrichten durften. 

Undenkbar zur damaligen Zeit waren die heute bei Jugendlichen so beliebten Klassenfahrten ins Ausland. Gleiches galt für Sprachreisen. Dabei spielten Devisenknappheit und die Tatsache, dass der Staat ideologisch die Oberhand behalten wollte, eine besondere Rolle. 

Somit machte sich im Leben der damals Jugendlichen so manche Veränderung im Schulalltag bemerkbar. So stand im Fach „Leibesübungen“ (Sport) Boxen als Pflichtteil auf dem Plan. Zeitweilig wurden im Biologieunterricht die leicht widerlegbaren Thesen der Rassenkunde vermittelt. Im Freizeitbereich gab es nicht mehr nur Chorsingen und musizieren in der Schulkapelle, sondern die AG Flugmodellbau. Mit militärisch zackigen Meldungen der Klassenbereitschaft durch den „Klassenführer“und der Bekanntgabe  der Tageslosung (z.B.Deutschland erwache !) sowie, im weiteren Verlauf des Krieges, der wöchentlichen Treffen in der Aula sollten die jungen Menschen auf ihren Einsatz eingestimmt werden und so war es  dann auch, dass März 1943 die Schüler der Jahrgänge 1926 /27 in die Wehrmacht zwangsverpflichtet wurden. Ein Umgehen der Einberufung war nicht möglich und so meldeten sich  viele freiwillig in eine gewünschte Waffengattung, Martin Hoffmeyer zur Luftwaffe  und Klaus Gebhardt zur Luftnachrichtentruppe. Ansonsten bestand die Gefahr, dass man von der Wehrmacht anderen Truppenteilen zugeordnet wurde, was meistens eine schwierigere Situation zu befürchten hatte. Wegen der zunehmenden Einsätze wurde der weitere Unterricht immer mehr eingeschränkt.  

Besonders schlimm und nachhaltig prägend für die Zeitzeugen, so Herr Gebhardt, waren die Ereignisse in Eisleben nach der Pogromnacht am 9. 11.38. Morgens auf dem Weg zur Schule machten sich SA-Uniformierte an die  Zerstörung der Geschäfts- und z.T. auch Wohnhäuser der jüdischen MitbürgerInnen. Da waren die Losungen „Kauft nicht beim Juden !“ zu sehen und neben Glasscherben lagen viele Einrichtungsgegenstände auf der Straße. In der Graumannschen Villa in der Funkstraße (Friedensstraße) hatte man sogar einen Flügel aus dem Fenster geschmissen. Noch bedrückender und beschämend waren in der Folgezeit die Berufsverbote für die Juden, so z.B. für den Juristen Dr. Königsberger, der nunmehr mit als Straßenkehrer für die „Herrenmenschen“ arbeiten musste. Die Bilder konnte er nicht vergessen, als in dieser Zeit alle Juden oberhalb des Gefängnisses (heute Haus II der Stadtverwaltung) zusammengetrieben wurden und Parkwächter Kleindienst dabei mit besonderer Brutalität hervortrat. 

Martin Hoffmeyer erinnerte ergänzend an folgende Begebenheit: Ein Mädchen hatte mit einem Polen ein Verhältnis, was  nach der Rassengesetzgebung verboten war. Als dies bekannt wurde hat man ihr die Haare geschoren und sie, ein Schild mit „Ich bin eine Polen-Hure !“ tragend durch einige Straßen der Stadt getrieben. Dies war selbst der damaligen Lokalpresse zuviel und sie berichtete nur mit einem kurzen Verweis auf das Geschehen. 

Klaus Gebhardt verbrachte 3 1/2 und Martin Hoffmeyer 2 1/4 Jahre in englischer Gefangenschaft. Bis 1947 konnten Spätheimkehrer noch in Eisleben, danach nur an den Frankischen Stiftungen in Halle das Abitur ablegen. Herr Gebhardt entschloss sich zu einer Lehre und betrieb in seiner neuen Heimat in Niedersachsen einen Buchhandel. Martin Hoffmeyer begann nach der Lehrausbildung in der Landwirtschaft ein Agrarstudium in Halle, welches er wegen der politischen Entwicklungen in der DDR hier nicht  beendete. Anfang 1953 ging er nach Kiel, beendete hier sein Studium und studierte noch Volkswirtschaftslehre. Er promovierte und arbeitete 35 Jahre am Institut für Weltwirtschaft in Kiel. 

 

Diese Veranstaltung wurde unterstützt über das Bundesprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“.  

 

Maria Hahn