TAGEBUCH

Seit etwa 10 Jahren lagern die übrig gebliebenen Grabsteine im Campo Santo. Jetzt werden sie restauriert, um auf den alten jüdischen Friedhof an der Siebenhitze zurückzukehren.

GRABSTEINE WERDEN RESTAURIERT

n den letzten Monaten hatte ich schon mehrfach durch die Gitterstäbe des Campo Santo auf dem alten Eisleber Friedhof gespäht, weil ich etwas über die Inschriften erfahren wollte. Wir wissen noch so wenig über die Juden in Eisleben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Jetzt ist es soweit. Der Steinmetz ist da. Marcus Iden aus Magdeburg ist von der jüdischen Gemeinde in Halle beauftragt, die Grabsteine vorzubereiten, damit sie wieder auf dem alten jüdischen Friedhof an der Siebenhitze aufgestellt werden können.


Lagen die Steine bisher zu hohen Stapeln getürmt, werden sie nun vorsichtig auf eigene Holzpaletten gelegt und erst einmal grob gereinigt. Leider gibt es hier weder Strom noch Wasser, und so können die Arbeiten erst einmal nicht fortgesetzt werden. Schließlich wird entschieden, dass die Steine zum Bauhof der Stadt gebracht werden, um dort restauriert zu werden.

Der Zustand der Grabsteine ist erschreckend schlecht. Nicht wegen der Verwitterung. Immerhin sind sie mindestens 150 Jahre alt. Die Spuren von grober Zerstörungswut sind deutlich zu erkennen. Mächtige Steinquader sind geborsten. Marmortafeln sind in kleine Splitter zerschlagen. Ich zähle etwa 30 Grabsteine, die in ihrer Gänze noch erkennbar sind. Daneben liegt ein Haufen von  ein paar duzend fußball-großen Trümmern. Hier hat die blinde Wut der Nazis ganze Arbeit geleistet.  Aus einem Haufen von Splittern gelingt es mir eine Marmortafel fast vollständig zusammenzusetzen. Ein paar der Trümmer können aber nicht vom jüdischen Friedhof stammen. Hier haben sich offenbar einige Abbrüche aus dem Campo Santo dazwischen gemogelt.


Die Inschriften der Grabsteine sind natürlich auf hebräisch. Aber irgendwann im 19. Jahrhundert hat man begonnen, die Grabsteine auf der Rückseite zusätzlich in Deutsch zu beschriften. Leider liegen die Steine jetzt fast alle mit der Vorderseite nach oben, sodass ich die Schrift nicht lesen kann. Es gelingt mir aber mit Stativ und ohne Blitzlicht ordentliche Fotografien zu machen. Per Email gehen die Bilder nach Israel, wo sie mir ein Freud übersetzt. Mit Hilfe von Datumsrechnern werden die Daten dann noch vom jüdischen in unseren gregorianischen Kalender umgerechnet. Jetzt müssen noch die passenden Übersetzungen für die jüdischen Namen gefunden werden. Dabei hilft unsere Datenbank in der wir schon 1.500 Namen von Juden aus der Region gespeichert haben. Wir stellen fest, dass die Steinmetze häufig Fehler im Hebräischen machten. Sie waren ja keine Juden. Nach einigen Diskussionen und Interpretationen können wir 22 Personen zuordnen und in die Datenbank einordnen.


Das ist sehr wenig. Und es sind fast nur Grabsteine für Kinder oder Frauen. Ich schätze, dass hier zwischen 50 und 100 Steine fehlen. Nach all der Mühe mit diesen Fragmenten ist es deprimierend, wenn ich Berichte höre, nach denen noch zu DDR-Zeiten Grabsteine gestohlen wurden, um in den Fundamenten für die an den Friedhof angrenzenden Garagen Verwendung zu finden.


Sebastian Funk

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert