TAGEBUCH

Rechts: Der Ostberliner Dr. Hermann Simon, Jahrgang 1949, hat den Wiederaufbau seit 1988 begleitet. Zu dem Mitgliedern des Vereines sagte er: „Haben Sie es einmal begonnen, so müssen Sie es auch beenden. Wenn Sie jetzt aufgäben, würden Sie ja nie mehr froh werden.“ Links: Rüdiger Seidel, Vorstand des Fördervereins.

BERICHT: DER DIREKTOR DES CENTRUM JUDAICUM DR. SIMON IN EISLEBEN

Dr. Hermann Simon, Direktor der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, sprach heute im großen Saal des Eisleber Rathauses über die Geschichte der Synagoge.

 

Der Vater kam 1945 zurück nach Deutschland und wählte bewusst die sowjetische Zone als Heimat aus. Hermann Simon wuchs in Ostberlin auf, studierte Geschichte und Orientalistik und arbeitete dann bei den Staatlichen Museen zu Berlin. Die Familie war Mitglied in der Jüdischen Gemeinde, die aber wegen des Holocaust und der Emigration in den Nachkriegsjahren sehr klein war.

 

Die Geschichte der Neuen Synagoge in Berlin ist exemplarisch für die Geschichte der Juden in Deutschland. Das Haus wurde am 5. September 1866 nach siebenjähriger Bauzeit eingeweiht. Es ersetzte es den Vorgängerbau aus dem Jahre 1712. Aus Scheu vor Neuerungen hatte die Gemeinde so lange mit dem Bau gezögert.

 

Die Neue Synagoge 1866

Die Neue Synagoge trägt die Inschrift: „Tuet auf die Pforten, daß einziehe das gerechte Volk, das bewahret die Treue“ (Jesaja 26,2).

Auch die nichtjüdische Öffentlichkeit war begeistert von diesem neuen Berliner Bauwerk und seiner 50 Meter hohen, goldenen Kuppel und 3.200 Plätzen Doch diese Pracht hat wohl auch auf manchen provozierend gewirkt, so Dr. Simon.  Sie war Touristenattraktion und verkörperte Modernität. So verfügte sie beispielsweise über ein Belüftungssystem, was Kanäle an den Fensterleibungen zeigen. Zudem hatte man jetzt eine Orgel, über deren Einführung es einen erbitterten Streit innerhalb der Gemeinde gegeben hatte.

Über den Alltag in der Synagoge gibt es heute nur noch ganz wenige Dokumente. „Das werden Sie bei Ihren Forschungen zur Eisleber Gemeinde sicherlich auch festgestellt haben.“ Es gibt eine Aktennotiz aus dem Jahre 1909 im Archiv der Gemeinde zu Rose Schramm, die nach dem Besuch der Synagoge den falschen Schirm ausgehändigt bekommen hatte. Eine alltägliche Geschichte. Das besondere daran ist, so erläuterte Dr. Simon, dass dies das einzige Dokument ist, das über diese Frau erhalten blieb, denn 1943 wurde sie nach Minsk deportiert und dort ermordet.

Eine sehr persönliche Photographie zeigt Albert Einstein im Jahre 1930 in der Neuen Synagoge bei der Vorbereitung für sein Violinendspiel. Ab 1933 wurden sehr viele Konzerte in der Synagoge für die Mesnchen gegeben, die kaum noch woanders hingehen konnten. Am 9. November 1938 steckten Nationalsozialisten die Neue Synagoge in Brand. Der Reviervorsteher des nahe gelegenen Polizeireviers 16, Wilhelm Krützfeld, ließ das Feuer aber löschen und rettete damit das Bauwerk.  Die Aufnahme von der brennenden Synagoge war lange Zeit Sinnbild für die Ereignisse dieses Tages in Deutschland. Es stellte sich aber heraus, dass die Flammen nachträglich in das Bild hinein retuschiert worden waren. Tatsächlich stellt das Foto das Haus kurz nach der Bombadierung am 23. November 1943, bei der es erhebliche Schäden erlitt.

Die Neue Synagoge 2005

1958 ließen die Behörden der DDR den von der Straße zurückliegenden Hauptteil der Synagoge sprengen. „Es war sicherlich keine böse Absicht sondern dem Zeitgeist geschuldet“. Die Sprengung an sich war dabei noch nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist, dass vorher keine Dokumentation angefertigt worden war.

1988 rief die DDR per Verordnung die Stiftung „Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum“ ins Leben. Für diesen außergewöhnlichen Vorgang gab es viele Gründe, ausschlaggebend war wohl, dass  es Leute in der DDR gab, die das so wollten. Die Ruine in der Oranienburgerstraße war ein Schandfleck. Kurz nach Baubeginn kam die politische Wende und das Ende der DDR. Die Stiftung baute aber weiter und stellte das Vorhaben nach sieben Jahren fertig. Es wurde kein exakter Wiederaufbau, vielmehr wurde der größte Teil, nämlich die eigentliche Versammlungshalle im rückwärtigen Teil, nicht wieder errichtet. Stattdessen gibt es heute nur einen kleinen Synagogenraum für etwa 30 Personen. Zu dem Gebäudekomplex gehören auch die beiden

Nachbarhäuser zur rechten und zur linken, in denen die Gemeinde und die Stiftung untergebracht sind. Zur Stiftung gehört ein umfangreiches Archiv.


Auf die Frage, was er als Jude davon halte, dass hier in Eisleben Geld und Aufwand in eine Synagoge ohne Juden gesteckt werde, antwortete Dr. Simon: „Auf diese Frage werden Sie viele Antworten hören. Die einen sind strickt dagegen, die anderen befürworten Ihre Sache. Eine dritte Gruppe wiederum ist ihr gegenüber vollkommen gleichgültig. Nachdem Sie es nun aber angefangen haben, müssen Sie es auch beenden. Sie würden doch Ihres Lebens nicht mehr froh werden, würden Sie jetzt aufgeben, das Haus würde niedergerissen und irgendwer baute hier irgendetwas.“


Sebastian Funk


Bilder:

Oben: Sebastian Funk. Mitte: historisch. Unten: Andreas Präfcke

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert