TAGEBUCH

Der Kölner Künstler Gunter Demnig sagte, dass Eisleben die 388. Kommune in Deutschland sei, in der er die Gedenksteine verlegt habe, über die Fußgänger freilich nur im übertragenen Sinne stolpern. Ein Schüler habe es einmal so formuliert: "Hier stolpert man mit dem Kopf und mit dem Herzen."

STOLPERSTEINE FÜR DIE FAMILIE LUDWIG KÖNIGSBERGER

Am Sonnabend vor Totensonntag ließ der Förderverein vor dem Haus Markt 39 in Eisleben durch den Künstler Gunter Demnig drei Stolpersteine für die Familie Ludwig Königsberger verlegen. Die Oberbürgermeisterin Frau Jutta Fischer und der Vereinsvorsitzende Rüdiger Seidel sprachen die Gedenkreden.

Markt 39 und 38 um 1900.

Der jüdische Rechtsanwalt und Notar Dr. Ludwig Königsberger wurde am 27. März 1891 in Eisleben geboren. Die Eltern waren Wilhelm und Recha, geb. Lang. Ihnen gehörte das Haus Markt 39, in dem sie wohnten und ein Textilgeschäft mit der Bezeichnung „Moritz Cahn, Nachfolger, Herrenmodegeschäft“ führten. [1] [2] Ostern 1910 legte Ludwig Königsberger an der Städtischen Oberrealschule in Eisleben das Abitur ab. Darauf begann das Studium der Rechte, das er mit der Promotion abschloss. Am 1. Weltkrieg nahm Königsberger aktiv teil, wurde schwer am Bein verwundet und erhielt das Eiserne Kreuz 1. Klasse. [3]

Nach dem Krieg ließ sich Königsberger als Rechtsanwalt und Notar in Eisleben nieder. 1922 wohnte er noch im Elternhaus, 1927 hatte er seine Kanzlei in der Bahnhofstraße 7 in Eisleben. [4] Bald darauf heiratete er die Jüdin Jenny Eckstein aus Berlin Lichterfelde. Ihre Tochter Marietta wurde 1925 geboren. [1] 1929 war Königsberger der Vorsitzende des Miets-Einigungsamtes der Stadt Eisleben und wohnte in der Poststraße 3; sein Geschäftslokal war am Plan 4. [2]

Pogrom und Judenhass

Der Laden der Eltern, Markt 39.

Ludwig Königsberger war als Anwalt Mitglied der “Roten Hilfe Deutschlands” und stellte ihr im Jahre 1931 eine Honorrechnung von 85,- RM in Rechnung. [4]  Schon 1921 waren in Deutschland als Folge der politischen Repression nach den Märzkämpfen Rote-Hilfe-Komitees auf Initiative der KPD entstanden. Der Schwerpunkt der Arbeit war die Unterstützung von Inhaftierten aus dem linken politischen Lager. Im März 1930 war die RHD an der Gründung einer deutschen Sektion der „Internationalen Juristischen Vereinigung“ (IJV) beteiligt, die sich mit Straf-, Völker-, Verfassungs- und Arbeitsrecht befasste. 1933 wurde die RHD im Zuge der Reichstagsbrandverordnung verboten, Anwälte wie Litten, Halle und Alfred Apfel in derselben Nacht verhaftet. Bis 1935/36 wurde die Rote Hilfe von der Geheimen Staatspolizei aufgelöst. Einige Mitglieder arbeiteten einige Zeit im Untergrund weiter. 

1933 wurde Königsberger die Anwalts-Lizens entzogen und die Mitgliedschaft bei der Anwaltsvereinigung unter Prüfung gestellt, weil er Kommunisten verteidigt hatte in Angelegenheiten, die nichts mit Politik zu tun hatten. Sein Fall wurde durch die Nationalsozialistische Vereinigung der Kriegsinvaliden vertreten, die sehr an diesem Fall interessiert war. [6]

 

1934 wurde Königsberger auf offener Straße angegriffen. Sein Angreifer war der Eisleber Zahnarzt und Mayor a.d. Dr. Ernst Müller, Poststraße 3, mit dem Königsberger eine gerichtliche Auseinandersetzung gehabt hatte. Müller nannte ihn „impertinenten jüdischen Abschaum“ und versuchte ihn zu schlagen. Die Zentralwohlfahrtsstelle der Deutschen Juden veranlasste daraufhin eine Beschwerdeschrift im Namen von Dr. Königsberger an das örtliche Ehrengericht des Ortsverband der Deutschen Offiziersgesellschaft. [6]

1933 wurde Königsberger die Anwalts-Lizens entzogen und die Mitgliedschaft bei der Anwaltsvereinigung unter Prüfung gestellt, weil er Kommunisten verteidigt hatte in Angelegenheiten, die nichts mit Politik zu tun hatten. Sein Fall wurde durch die Nationalsozialistische Vereinigung der Kriegsinvaliden vertreten, die sehr an diesem Fall interessiert war. [6]

 

1934 wurde Königsberger auf offener Straße angegriffen. Sein Angreifer war der Eisleber Zahnarzt und Mayor a.d. Dr. Ernst Müller, Poststraße 3, mit dem Königsberger eine gerichtliche Auseinandersetzung gehabt hatte. Müller nannte ihn „impertinenten jüdischen Abschaum“ und versuchte ihn zu schlagen. Die Zentralwohlfahrtsstelle der Deutschen Juden veranlasste daraufhin eine Beschwerdeschrift im Namen von Dr. Königsberger an das örtliche Ehrengericht des Ortsverband der Deutschen Offiziersgesellschaft. [6]

Eisleber Adressbuch von 1936

Weil Königsberger nicht mehr als Rechtsanwalt tätig sein konnte, wurde ihm spätestens ab 1938 durch die jüdische Wohlfahrtspflege finanziell geholfen. [7]

Im Zuge der Terrorakte des 9. November 1938 wurden die Eisleber Juden, die nicht in Konzentrationslager verschleppt wurden zum Straßenkehren gezwungen, „wo sich gewisse Teile der Bevölkerung über sie lustig machten…“ [7]

So schrieb Frau Hädicke 1988 an die Eisleber Zeitung: „Die Familie Königsberger mußte an der Bösen Sieben die Bahnhofstraße fegen, der am Bein kriegsbeschädigte Dr. Königsberger schippte in der Gosse, seine Frau fegte die Hälfte der breiten schmierigen Straße und das schmale langgeschossene Töchterchen weinte plötzlich laut und ließ den Besen fallen. Die Mutter flehte das Mädchen an, ruhig zu sein. Der Jammer war nicht zu ertragen.“ [7]

 

Und Frau S. erinnerte sich 1988: „Von meinem Fenster unserer früheren Wohnung aus konnte ich nach oben die Grabenstraße überblicken Ich hörte Lärmen und Grölen. Ein Zug von Menschen kam die Grabenstraße herunter, sie zogen einen Wagen, neben ihm und hinter ihm grölende Menschen. Auf den Wagen stand ein junges Mädchen, dem sie die Haare abgeschnitten hatten. Ein Schild hatten sie ihr umgehängt: „Ich bin eine Judensau!“ Es war die Tochter von Königsberger, ein bildhübsches Mädchen. Am selben Tag ging ich die Rammtorstraße hoch, rechts, gegenüber vom Park, war das Textilgeschäft von Bratel. Da hingen die Betten zum Fenster hinaus, aufgeschnitten, daß die Federn herausflogen.“ [7]

 

Seit 1930 war Königsberger Vorsitzender des Vorstandes der Israelitischen Gemeinde zu Eisleben und löste damit seinen Vater in diesem Amte ab. Damit hatte er auch die traurige Pflicht, die Auflösung und Enteignung der Gemeinde zu quittieren. So musste er am 13. April 1939 das „Register zum neuen Friedhof vor dem Freistraßentor“ bei der Polizeiinspektion abgeben. Im November 1939 erging an Dr. Königsberger die Aufforderung, eine Zeichnung der Synagoge der Gemeinde Halle zuzusenden, da sie beabsichtigte, die Synagoge in Eisleben zu veräußern. Die Synagoge konnte nicht mehr benutzt werden, da sie durch den Pogrom im November 1938 arg beschädigt worden war und die Gemeinde sich außerstande sah, sie zu renovieren. Somit wurde sie im November 1939 durch den Vorstand der Synagogengemeinde Halle an die Familie Thiele aus Kreisfeld bei Eisleben verkauft. [7]

Das Haus der Tränen: Rammtorstr. 49.

Nachdem der Grundbesitz der Juden in zwangsweise in so genannten „arischen Besitz“ übergegangen war, und vielen die Wohnungen gekündigt worden war, blieb nur noch der Einzug in ein so genanntes „Judenhaus“. Auch in Eisleben gab es ein solches. Das Haus der Eheleute Bratel wurde zur letzten Zufluchtsstätte der noch ansässigen Juden. Am  4. November 1941 schrieb LEo Hirsch, der Vorsitzende der jüdischen Gemenide in Halle an die Bezirksstelle Sachsen-Thüringen der Reichsvereinigung der Juden: „… Zur Verfügung steht ein Wohngrundstück, das noch in jüdischem Besitz ist und zwar das Grundstück Rammtorstraße 49, das Herrn Jakob Bratel gehört. In dem Grundstück sind vorhanden im Erdgeschoß ein Laden, der noch in dem gleichen Zustand ist, wie er nach der November-Aktion 1938 war, d.h. es ist vollkommen zerstört. Es sind weder Fenster noch Türen vorhanden […].“ 


Hier mussten spätestens ab November 1941 die in Eisleben verbliebenen Juden einziehen. Weil Ludwig Königsberger dekorierter Kriegsteilnehmer war, durfte er mit seiner Familie und seinen Eltern statt in das überfüllte Judenhaus in eine Baracke im Kastanienweg 3b in Eisleben ziehen. [7]

 

Um die Lage noch zu verschärfen, wurden alle zur Zwangsarbeit eingesetzt. “ Am 19. November 1941 wurden 10 Juden und Jüdinnen der Stadt zur Straßenreinigung zwangsverpflichtet, unter ihnen auch Kranke und Greise im Alter von 73; 76 und 82 Jahren!“ Bei Jakob Bratel, der 82jährig noch zur Zwangsarbeit herangezogen wurde, stellte der Vertrauensarzt „einen sehr starken allgemeinen Abbau, Krampfadern, Bruchanlagen und eine noch nicht geheilte Nierenbecken- und Blasenentzündung“ fest. Trotz alledem hielt ihn der Arzt halbtags für arbeitsfähig mit der Begründung: „…weil Juden anders behandelt werden müssen als die deutschen Volksgenossen“. [7]

 

Am 15. April 1942 mussten alle Eisleber Juden in das so genannte jüdische Altersheim in der Boelckestraße nach Halle umziehen. Ein Augenzeuge beschrieb, wie die Gruppe den Weg durch den Stadtgraben zum Bahnhof nahm. [3]

Deportation und Ermordung

Deportation am 30. Mai 1942.

Nachdem am 21. Mai 1942 eine erneute Anfrage des RSHA an die Staatspolizei(leit)stellen wegen der Zahlen der noch in ihren Bezirken wohnenden Juden herausgegangen und bis zum 27. Mai 1941 beantwortet war, bestimmte das RSHA eine letzte Gruppe von Sonderzügen in den District Lublin genauer. Der Sonderzug von Kassel nach „Trawniki“ war bereits für den 15. Mai 1942 vorgesehen, doch ein interner Vermerk der Reichsbahn trägt zu diesem Datum die nicht näher begründete Notiz „Ausfall“. Er wurde schließlich am 1. Juni 1942 mit den neuen Ziel „Izbicia“ verlegt. [8]

Der Koppelzug „Da 57“ beförderte 508 Juden aus dem Bezirk Kassel. […]. Von dem Teiltransport, der aus Hanau am 30. Mai 1942 (Sonntag) nach Kasel abging, liegt eine Fotoserie mit 19 Aufnahmen vor. In der zweiten Hälfte des Transportes befanden sich ungefähr 500 Juden aus den Bezirken Halle-Merseburg und Chemnitz, allein 155 Juden aus dem Gau Halle-Merseburg, darunter 131 Menschen aus dem Stadtgebiet von Halle und 24 Personen aus dem weiteren Bezirk. Der Internationale Suchdienst verzeichnet hier 2 Menschen aus Bitterfeld, 9 aus Eisleben, 2 aus Naumburg, 4 aus Weißenfels, 1 aus Paltzsch,2 aus Klostermansfeld, 2 aus Querfurt und 2 unbekannten Wohnorts. [8] Zu den Juden aus Eisleben gehörten auch Ludwig Königsberger, seine Frau Jenny und ihre Tochter Marietta. [9]

Siegfried Moses

Der Transport wurde in Lublin auf dem Nebengleis „selektiert“. Dabei wurden etwa 98 bis 115 Männer im Alter zwischen 15 und 50 Jahren aus dem Transport ausgesucht und in das Lager Majdanek eingewiesen, wie ein Überlebender bezeugt hat. [8] Zu diesen gehörte auch Siegfried Moses, der Sohn von Johanna und Julius Moses aus Eisleben. Im Lager Majdanek überlebte er keine drei Monate. Er wurde am 27 September 1942 ermordet. Er war erst 17 Jahre alt.  [9]

Vermutlich ist der Zug sodann direkt zu dem Vernichtungslager Sobibór geleitet worden. Dort kam er am 03. Juni 1942 an. [8]  Direkt von der Bahnsteigrampe aus ging es zum Lager II. Hier wurde der gesamte Besitz der Opfer gesammelt, sortiert und gelagert. Von diesem Lagerteil aus führte ein 150 Meter langer und drei bis vier Meter breiter Gang, der mit Stacheldraht und eingeflochtenen Tannenzweigen eingefasst war, zur Vernichtungsstätte im Lager III. [5]

Sobibor

Im Lager III stand ein Steingebäude mit Gaskammern, in denen die bereits im Lager II entkleideten Opfer durch Motorabgase erstickt wurden. Die Ermordeten wurden von einem Arbeitskommando in einer Grube verscharrt, die 60 Meter lang und 20 Meter breit war. Im Lager III befanden sich Küche und Unterkünfte für die Arbeitshäftlinge, die streng abgeschirmt von den anderen Lagerteilen die Leichenbeseitigung erledigen mussten. Ab Sommer 1942 mussten die Arbeitskommandos die Leichen exhumieren und verbrennen, bevor sie selbst ermordet wurden. [5]

Anfang Mai bis Ende Juli 1942 wurden in Sobibór bis zu 90.000 Juden „fabrikmäßig“ getötet. Darunter waren auch Ludwig Königsberger, seine Frau Jenny und ihre Tochter Marietta.

Marietta wurde nur sechzehn Jahre alt. [9]

 

Wir danken der Stadt Eisleben für die sehr freundliche und unkomplizierte Unterstützung bei der Verlegung der Gedenksteine.

 

Sebastian Funk

Quellen:

[1] Liste der Juden im Ortspolizeibezirk Eisleben, 1939

[2] Eisleber Adressbücher

[3] Rüdiger Seidel

[4] Heinz Jürgen Schneider, Erika Schwarz, Josef Schwarz: „Die Rechtsanwälte der Roten Hilfe Deutschlands: politische Strafverteidiger in der Weimarer Republik; Geschichte und Biografien“, Bonn 2002.

[5] Wikipedia

[6] “Report of The Central Association of German Citizens of Jewish Faith, Leipzig,  7 December 1934

[7]  Maxi Wendt, “Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde zu Eisleben von Beginn des 19. Jahrhunderts bis zu ihrer Auflösung.“ Eingereicht beim Landesprüfungsamt für Lehrämter in Sachsen Anhalt-,” Wissenschaftliche Hausarbeit–zur Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien, 1993.

[8] Alfred Gottwaldt und Diana Schulle: „Die Judendeportationen aus dem Deutschen Reich 1941-1945“, S 221 ff.

[9] Bundesarchiv Koblenz-Berlin: “Gedenkbuch,” Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945, 2. erw. Auflage 2006.

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