TAGEBUCH

Die Familie auf dem neuen jüdischen Friedhof in Eisleben.

RÜCKBLICK: STOLPERSTEINVERLEGUNG FÜR DIE FAMILIE ROSENTHAL

Man darf im Falle der letzten Stolpersteinverlegungen mit Recht sagen, dass das Internet ein Segen für die Menschheit ist. Die trifft so auch auf die Nachfahren der Familie Rosenthal zu, die aus diesem Anlass vom 18. bis zum 19. Juli 2017 die Lutherstadt besuchten. Eine Verwandte in Australien hatte im Internet die Seite des hiesigen Synagogenvereins entdeckt und daraufhin Kontakt nach Israel aufgenommen, sodass heute, nach mehr als 70 Jahren, die Nachfahren ein Stück Licht ins Dunkel der Familiengeschichte bringen konnten.

 

Gabriel Rosenthal und seine Frau Bertha waren die Begründer der Eislebener Rosenthal-Familie. Beide verstarben noch während des 1. Weltkrieges in Eisleben und wurden auch hier begraben. Sie waren schon in Berlin kaufmännisch tätig und gründeten zunächst am Plan 2 und später Plan 8 ein Bekleidungsgeschäft für Herrn und Knaben, wobei auf Wunsch auch Maßanfertigungen, alle bei bester Qualität und möglichst niedrigen Preisen, angeboten werden.

 

Das Ehepaar hatte sieben Kinder, davon ein Mädchen (Frida), von denen Martin in Berlin geboren wurde und alle anderen Kinder (Siegfried, Ernst, Erich, Willy und eines, das schon im Geburtsjahr 1891 verstarb) in Eisleben. Bertha eröffnete zusätzlich im Jahre 1912 ein „Kaufhaus für Gelegenheitseinkäufe, in der Lutherstraße 14. So sind ihre Kinder überwiegend am Plan aufgewachsen.

 

Sohn Siegfried hatte das Haus am Markt 55 gekauft und dort ein Geschäft betrieben. Der weitere Lebensverlauf seit der Arisierung für ihn und seine Familie bleibt auch weiterhin im Dunkeln. Dies gilt auch für Sohn Martin, während Ernst im 1. Weltkrieg gefallen ist.

 

Der dritte Sohn Erich führte zunächst das Geschäft am Plan 8 weiter und übernahm nach seiner Heirat mit Flori Barnett das mütterliche Geschäft und wohnte auch dort. Hier wurde Tochter Margot 1925 geboren, die in Eisleben noch die Mittelschule besuchte. Im Januar 1939 floh die Familie nach Holland, wo sie auch nicht den „Säuberungen“ der Nazis dauerhaft entkommen konnte. Margots Eltern wurden am 11.10. 1944 gleich nach ihrer Deportation in Auschwitz ermordet. Die Eltern waren 58 bzw. 41 Jahre alt.

Tochter Margot war 1944 im selben Transport nach Bergen -Belsen, wie Anne Frank und deren Familie. Sie hatte sich im Exil im Widerstand organisiert, wurde 1944 verhaftet und erlebte hier 1945 die Befreiung durch die Engländer. Sie wanderte 1949 nach Israel aus, heiratete Gideon Drach, den sie aus der holländischen Widerstandsgruppe kannte. Sie arbeitete u.a. als Leiterin in einem Altersheim und ist im April 2017 91-jährig in Haifa verstorben.

 

Ihr einziges Kind, Tochter Anat, ist heute Professorin für Psychologie an der dortigen Universität und war ganz besonders gerührt. Die Freundin des Sohnes Tom, eine Musikstudentin, hat zur Stolpersteinverlegung dann auch auf der Jokolele gespielt und ein Lied vorgetragen. Anat bedankte sich in einer kurzen, sehr emotionalen Ansprache für diesen Akt des Gedenkens.

 

Frieda Rosenthal, heiratete als verwitwete Schulze, den Leipziger Schuhgeschäftsbesitzer Wilhelm Frey. Beide wurden in Auschwitz ermordet. Der jüngste Sohn Willy diente im 1. Weltkrieg, heiratete später Frida Wagner mit der er nach Münsterberg in Schlesien zog. 1930 verwitwet, heiratete er Gertrud Brinitzer aus Zittau. Beide wurden 1942 nach Auschwitz deportiert, und das Eigentum „arisiert“. Willy starb auf dem Todesmarsch im Januar 1945. Von seiner Frau gibt es keine Angaben.

 

Aus erster Ehe hatte Willy Rosenthal den Sohn Heinz-Gabriel, der bereits 1936 nach Palästina auswanderte. Er kämpfte später in der Jewish Brigade und diente nach 1948 als Offizier in der israelischen Armee. Er lebte bis 1981 in Haifa und hatte zwei Töchter: Rolly Rosen, die mit Tochter Gal maßgeblich diese Reise initiiert hatte, und deren Schwester Shlomit Rosen-Brailovsky mit Ehemann Dror und Sohn Ran. Die Vorfahren von Dror waren schon im 19. Jahrhundert aus der Ukraine wegen der Pogrome geflohen und nach Südamerika bzw. Palästina ausgewandert.

Rolly Rosen war gleichzeitig auch die Dolmetscherin bei dieser Reise und hatte in den 80er Jahren in Westberlin studiert. Heute arbeitet sie an ihrer Dissertation.

 

Das Programm in Eisleben war straff organisiert. Am Anreisetag führte Vereinsvorsitzender Rüdiger Seidel durch die Altstadt mit besonderen Hinweisen zu einst jüdischem Leben. Am Abend gab es ein Treffen mit weiteren Vereinsmitgliedern (Bärbel Kettner und Maria Hahn) und alle waren angetan von den vielen Fragen zum Leben hier im Land und der Stadt. Anderntags stand zunächst der Besuch der Synagoge sowie der jüdischen Friedhöfe auf dem Programm. Durch die guten Kontakte der Familien nach Deutschland waren aus Berlin und Bärenstein im Erzgebirge Freunde extra zur Stolpersteinverlegung angereist, die ebenfalls sehr beeindruckt waren.

 

An der Lutherstraße 14 hatte Anats Sohn Tom für alle Verstorbenen das Kaddisch gesprochen. Am Beispiel der Familie Rosenthal wird erneut nachvollziehbar, wie der Rassenwahn der Nazis, in bis dahin nicht da gewesener Weise und Ausmaßen, dazu führte, dass Familien „ausgelöscht“ wurden und bzw. Nachfahren mitunter Zeit ihres Lebens die Fragen nach ihren Vorfahren nicht oder spät beantwortet bekommen.

 

Diese eine Situation, die uns leider auch heute immer wieder aktuell begegnet, was haben wir, was hat jeder einzelne Mensch auf dieser Welt daraus gelernt?

 

Maria Hahn