TAGEBUCH

Denkmal für Moses Mendelssohn in Dessau.

RÜCKBLICK: GESCHICHTE DER JUDEN IN ANHALT

Gestern Abend war Herr Dr. Bernd Ulbrich auf Einladung der Lutherstiftung und unseres Vereins als Gastredner im Luthergeburtshaus. Das Thema des Vortrages lautete „Die Geschichte der Juden in Anhalt“.


Zunächst lieferte Dr. Ulbrich einen kurzen Abriss der Geschichte des Hauses Anhalt. Die Wiederansiedlung der Juden begann ab etwa 1660 in Gröbzig. Es folgten Dessau (1672), Jeßnitz (1680), Sandersleben (1693)  usw. Es handelte sich dabei um so genannte Schutzjuden des Landesfürsten. Das Recht des Aufenthaltes für sich und ihre Familie erwarben sie sich durch einen Schutzbrief, den sie jährlich erneuern mussten. Dieses Sonderrecht wurde in Anhalt erst verhältnismäßig spät im Jahre 1848 aufgehoben, als das allgemeine bürgerlich Recht auch für die Juden galt.


Die Ansiedelung erfolgte offenbar in großem Umfang. So gab  es 1757 in Dessau bereits 1.000 Juden bei 7.000 Einwohnern insgesamt. Ganz eindeutig wurde die Zuwanderung durch den Fürsten gefördert, der sich durch die Juden einen merkantilistischen Vorteil Versprach. Die Juden kamen aus vielen verschiedenen Richtungen, die meisten jedoch aus dem Bereich Krakau/ Breslau. Die erfolgreichen und reichen Juden waren im Leipziger Messehandel engagiert. Die übrigen beschäftigten sich  mit Hausierhandel und eineigen Handwerksberufen.


Hervorzuheben ist der Hofjude Moses Benjamin Wulff (1661–1729), der nicht nur Geldgeber seines Fürsten war, sondern auch diplomatische Kontakte zum Wiener Hof pflegte und vieles mehr. Daneben war er einer der ersten Buchdrucker in Anhalt-Dessau und unterhielt eine eigene Talmudschule.


Die bekannteste Persönlichkeit in diesem Zusammenhang ist gewiss der jüdische Philosoph Moses Mendelssohn, der 1729 in Dessau geboren wurde. Er übersetzte den Pentateuch ins Deutsche und initiierte die jüdische Reformbewegung. Auch setzte er sich für die Gründung der Franz-Schule in Dessau ein, einer Schule für jüdische Knaben bis zum 14. Lebensjahr. Übrigens sind die Schülerlisten der Franzschule noch vollständig erhalten. Hier könnte auch das eine oder andere zur Familiengeschichte auch für Eisleben gefunden werden. 1806 folgte in Dessau auch eine Töchterschule.


Samuel Hirsch (1815-1889) war Ratsherr in Dessau. Als Rabbiner vertrat er ebenfalls den Reformgedanken und hielt es als solcher nur drei Jahre in Dessau aus. Dann emigrierte er in die USA, wo seine Ideen viel anklang fanden.


Ende des 19. Jahrhunderts begann eine allgemeine Abwanderung der Juden vom Land und den kleinen Städten hin in die Großstädte. Gleichzeitig wanderten erneut  Juden aus Osteuropa nach, und es begann sich ein deutlicher Antisemitismus zu entwickeln.


Aus Anhalt kam auch Moritz von Cohn (1812-1900), der Hofbankier von Kaiser Wilhelm I. Er vermachte sein beträchtliches Vermögen kinderlosen Tochter Julie von Cohn-Oppenheim, die damit eine Reihe von karitativen Stiftungen in der Region Anhalt gründete. Auch der Bau der Synagoge in Dessau wurde mit diesen Mitteln finanziert.


1932 übernahm die NSDAP in Anhalt die erste Landesregierung im Deutschen Reich. in der Folge wurde das große Mendelsson-Denkmal in Dessau von seinem Platz am Bahnhof auf den jüdischen Friedhof verlegt und später ganz zerstört. In Dessau begannen die Ausschreitungen und Verbrechen gegen die jüdische Bevölkerung am 9. November 1938  schon am Nachmittag. Bis 1941 konnten etwa ein Drittel der Juden ins Ausland fliehen, die übrigen wurden ermordet. In Dessau wurden bis jetzt schon 40 Stolpersteine verlegt.


Vielen Dank für den interessanten und kurzweiligen Vortrag.


Sebastian Funk