TAGEBUCH

Nun haben wir ein Bild vom letzten Kantor der jüdischen Gemeinde in Eisleben. Als Ergebnis der Israelreise von Rüdiger Seidel haben wir jetzt Fotografien von Gustav Mosbach und seiner Familie.

IM BLICKPUNKT: GUSTAV MOSBACH (1877 – 1942)

Im November 2008 besuchte der Vorsitzende unseres Vereines, Rüdiger Seidel, Frau Hanna Hirsch in Israel. Sie ist die Enkelin des letzten Kantors der jüdischen Gemeinde in Eisleben, Gustav Mosbach. Herr Seidel brachte diese Bilder von der Familie Mosbach mit. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir nun diesen biografischen Artikel, für den wir schon so lange recherchiert haben. Ich bedanke mich bei Frau Gertrud Althoff für die zahlreichen Hinweise zur jüdischen Familiengeschichte in Westerkappeln und bei Alisa Harth, einer Verwandten der Mosbachs, für die geduldigen Antworten.

Marks-Haindorf-Stiftung“ in Münster

Im November 2008 besuchte der Vorsitzende unseres Vereines, Rüdiger Seidel, Frau Hanna Hirsch in Israel. Sie ist die Enkelin des letzten Kantors der jüdischen Gemeinde in Eisleben, Gustav Mosbach. Herr Seidel brachte diese Bilder von der Familie Mosbach mit. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir nun diesen biografischen Artikel, für den wir schon so lange recherchiert haben. Ich bedanke mich bei Frau Gertrud Althoff für die zahlreichen Hinweise zur jüdischen Familiengeschichte in Westerkappeln und bei Alisa Harth, einer Verwandten der Mosbachs, für die geduldigen Antworten.

Synagoge in Schönebeck a.d. Elbe

Von 1902 bis zu 1. Dezember 1906 war Mosbach dann Lehrer, Vorbeter und Schächter bei der jüdischen Gemeinde in Schönebeck an der Elbe. Auf Grund der Zeugnisse wurde der bisher provisorisch angestellte Lehrer Mosbach 1904 definitiv angestellt. Die Schuldeputation beim Schönebecker Magistrat hat es am 18. März 1904 protokollarisch fixiert. Ausdrücklich bestätigt der Magistrat, „dass der israelitische Religionslehrer Mosbach seinen Befähigungsnachweis für Erteilung des Religionsunterrichtes erhalte. Hiermit wird ihm die Genehmigung erteilt, jüdischen Religionsunterricht in der jüdischen Privatschule hierselbst zu geben.“ Nach dem Ausscheiden von Gustav Mosbach am 1. Dezember 1906 übernahm Dr. Julius Gallandt das Amt des Religionslehrers.

Am 9.9.1902 heiratete Mosbach in Schönebeck Hedwig Block, geboren am 6. März 1880 in Westerkappeln, Tochter von Daniel und Bella. Am 15. August 1904 wurde Mosbachs Tochter Charlotte in Schönebeck geboren.

 

1909 wird ein Lehrer Mosbach in der jüdischen Gemeinde Borken genannt, allerdings ohne Vornamen. Etwa 1925 kamen die Mosbachs nach Eisleben. Gustav Mosbach wurde Lehrer und Kantor der Israelitischen Gemeinde als Nachfolger von Max Frank. Die Familie wohnte im Erdgeschoss der Synagoge, Lutherstraße 25. Ungefähr 1935 heiratete die Tochter Charlotte den Witwer Otto Salmons, der die Tochter Lore mit in die Ehe brachte. Am 17. Oktober 1937 wurde Mosbachs Enkeltochter Hanna Salmons geboren.

Zu einer Lesung, die am 4. Dezember 1934 mit dem „Thema deutsch-jüdische Koexistenz heute und morgen“ in Eisleben stattfand, notierte der Referent aus Leipzig:  „Der Moderator bei diesem Treffen, ein Lehrer mit Namen Mosbach, macht eine gute Arbeit beim Organisieren des Ortsverbandes. Er ist freilich begabter und interessierter beim Leiten der Organisation als sein Vorgänger, Herr Goldstein [Benno Goldstein (?)]. Zusammenfassend sagte er, dass die Rede, in der ich mich natürlich auf Hannukah bezog, ein erbauliches Erlebnis für die Teilnehmer gewesen sei. Die wirtschaftliche Situation habe sich im Vergleich zum letzten Jahr verbessert.“ Das Bild könnte im Oberpark in Eisleben aufgenommen worden sein.

Am 9. November 1938, während der Pogromnacht, drang der nationalsozialistische Pöbel in das Haus Lutherstraße 25 ein, in dem die Familie Mosbach wohnte. Das Inventar wurde demoliert, religiöse Einrichtungsgegenstände wurden auf die Straße geworfen, die Fenster wurden eingeschmissen. Gustav Mosbach wurde vom Mob misshandelt , von der Gestapo in die so genannte Schutzhaft genommen und für einige Monate in das Konzentrationslager in Buchenwald verschleppt. Lore  Salmons, Charlottes Stieftochter, hat lange nicht über ihre Erinnerungen an die die Zeit der Verfolgung in Deutschland erzählen wollen. Sie nahm sich in der Pogromnacht ihre gerade ein Jahr alte Halbschwester Hanna und verließ das Haus zu einem langen Spaziergang. Vor kurzem sagte sie zu Hanna: „Du weißt, es ist ein Wunder, daß ich nicht verrückt geworden bin, obwohl ich diese Zeit der Shoah in Deutschland erlebt habe.“

Bereits 1937 hatte Otto Salmons ein Ausreisevisum für Argentinien, aber kurioserweise entschied die „Jewish Colonization Association“, die Familie habe zu wenig Kenntnisse für das Leben auf dem Lande. Und so musste Otto Salmons erst eine Weiterbildung in Landwirtschaft in Argentinien absolvieren. In der Zwischenzeit brach der Krieg aus, und Ottos Bruder und dessen Familie wurde deportiert und ermordet. Aber Charlotte schaffte es, mit ihren zwei kleinen Töchtern auszureisen – im Dezember 1941. Sie erreichten das letzte Schiff. Es fuhr von Portugal nach Südamerika. Anstelle der vorgesehenen 500 Passagiere waren 1.500 an Bord. Das Foto wurde 1938 im Hof der Synagoge aufgenommen. Im Hintergrund ist die Rückwand der Synagoge mit den beiden Erdgeschossfenstern. Auf den Fensterbänken stehen die vielen Blumentöpfe von Hedwig Mosbach. Von links nach rechts: Gustav Mosbach, Lore Salomons, Charlotte Salmons, geb. Mosbach. Vorne: Die Großmutter Hedwig Mosbach, geb. Block, mit Hannah Mosbach auf dem Arm. 

Bis Ende 1941 harrte Gustav Mosbach in der stark beschädigten Synagoge aus und musste dann mit seiner Frau in dem so genannten Judenhaus in der Rammtorstraße 49 unter sehr beengten Verhältnissen wohnen. Ungeachtet ihres Alters wurden sie zur Zwangsarbeit eingesetzt. Am 15. April 1942 mussten alle Eisleber Juden in das sogenannte jüdische Altersheim in der Boelckestraße nach Halle umziehen. Ein Augenzeuge beschrieb, wie die Gruppe den Weg durch den Stadtgraben zum Bahnhof nahm. Mit den Mosbachs gingen die Familien Dr. Ludwig Königsberger und Moses, sowie die Eheleute Bratel und Katzenstein. Am 1. Juni 1942 erfolgte die endgültige Deportation. Der Zug kam am 01.06.1942 aus Kassel und fuhr über Halle nach Lublin, das er am 03.06.1942 erreichte. Von dort endete der Transport im Vernichtungslager Sobibor, wo die Insassen sogleich in der Gaskammer ermordet wurden. Warum die Mosbachs nicht mit ihrer Tochter emigrierten, können wir nur vermuten. Wollten sie ihre deutsche Heimat einfach nicht verlassen? Fühlte Mosbach sich verantwortlich für die verbliebenen Gemeindemitglieder?

Die nach Argentinien Emigrierten lebten bis 1947 in einem Ort, den Baron Maurice Hirsch gegründet hatte. Nachdem sie bei einem Unwetter all ihre Habe verloren hatten, zogen sie nach Buenos Aires und eröffneten einen Delikatessen-Laden. 1957 zog Hanna nach Israel und wohnt seither im Kibbuz Kfar Giladi. Nach dem Tod ihres Mannes kam Charlotte zu ihr und starb dort 1985. Hanna ist heute 70 Jahre alt. Ihre Halbschwester Lore lebt in Argentinien.


2009 wird der Förderverein für Hedwig und Gustav Mosbach vor dem Haus Lutherstraße 25 die Stolpersteine verlegen. Dazu haben wir die Enkeltöchter Frau Hanna Hirsch aus Israel und Frau Lore Brieger aus Argentinien eingeladen.


Sebastian Funk