MARKT 47
Dieses Haus wurde in der jüngsten Vergangenheit für die Buchhandlung umgebaut. Vor dem Krieg waren hier zwei oder drei kleine Läden untergebracht. Vor 1901 hatte hier der jüdische Kaufmann Siegmind Lewin sein Geschäft. Über ihn wissen wir sonst noch nichts, aber auf dem Foto steht sein Name noch über dem Laden und darunter steht Hans Mendelsohn geschrieben.
Nach dem Adressbuch von 1901 hatte sich hier der jüdische Kaufmann Albert Mendelsohn niedergelassen. Albert war 1865 in Stargard, im damaligen Westpreußen, geboren worden, Amalie, geb. Jaffe, 1869 in Krotoschin in Posen. 1892 sind sie im Eisleber Adressbuch noch nicht zu finden, aber 1893 wurde hier ihr ältester Sohn Gerhard geboren. Der zweite Sohn Hans folgte 1896. Sie wohnten am Markt 49 und übernahmen das Posamenten- und Wollwarengeschäft von Siegmund Lewin.
Die Söhne besuchten die Realschule in Eisleben und wurden Kaufleute. 1912 wird Albert als stellvertretender Vorstand der Israelitischen Gemeinde genannt. Im ersten Weltkrieg wurden beide Söhne eingezogen. Gerhard diente zuletzt bei einem Schallmesstrupp, einer Aufklärungseinheit der Artillerie, und fiel noch 1918 bei Dar’a in der Nähe von Jerusalem. Die Eltern errichteten auf dem neuen jüdischen Friedhof einen Grabstein für den verlorenen Sohn. Hans kehrte mit dem Verwundetenabzeichen zurück und arbeitete im elterlichen Geschäft, das er 1925, nach dem Tod des Vaters, übernahm. Albert ist auf dem Neuen jüdischen Friedhof begraben.
Hans engagierte sich auch für die Arbeit in der jüdischen Gemeinde, in der er Repräsentant war. 1929 vermerkte das Nachrichtenblatt des Vereins ehemaliger Realschüler:
„Hans Mendelsohn ist umgezogen. Er hat das uns allen wohl bekannte Zigarrengeschäft Röhr erworben und darin einen schmucken Laden eröffnet.“
1930 heiratete Hans die aus Frankfurt am Main stammende Lina Plaut, geboren 1900. Ihre Vorfahren lassen sich bis um 1600 zurückverfolgen. Sie lebten über Jahrhunderte in der Gegend um Witzenhausen. Lina war die Jüngste von sieben Geschwistern.
1935 bekamen sie einen Sohn, den sie im Andenken an den im Krieg gefallenen Bruder wieder Gerhard nannten. Auf der Liste der Ortspolizei von 1938 wird ihre Adresse mit „Markt 49“ angegeben, daher liegt die Vermutung nahe, dass sie gezwungen waren, zurück in die elterliche Wohnung zu ziehen. In diesem Jahr wird Hans als „Tempelvorsteher der Israelitischen Gemeinde“ genannt.
Ab Juni 1940 musste Hans als Zwangsarbeiter zu den Hüttenwerken nach Halle-Trotha in der Brachwitzer Straße. Im Oktober musste er zum Reichsautobahnbau. Die letzte Nachricht über der Familie Mendelsohn ist die Deportationsliste vom 12. November 1941. An diesem Tag wurden Hans und Lina mit ihrem kleinen Sohn Gerhard von Frankfurt am Main in das Ghetto nach Minsk verschleppt. Vermutlich ist die Familie also nach 1940 zu Linas Familie nach Frankfurt gezogen.
Shimon Fogel, ein Neffe von Lina, überlebte die Verfolgungen und schrieb 1984 die Gedenkblätter für die Familie Mendelsohn in Yad Vashem. Für den kleinen Gerhard schrieb er in die Zeile für Beruf: „Kindergarten“.
Am 9. November 2010 wurden für Hans, Lina und Gerhard die Stolpersteine vor dem Haus Markt 47 verlegt.