Die Häuser der jüdischen Mitbürger

Freistraße 23

Das Haus Freistraße 23 ganz rechts gehörte 1909 noch dem Fleischermeister Otto Urbach. Die Familie Moses hatte die Wohnung im Obergeschoss gemietet (Postkarte 1909).

Samuel und Johanna Moses

In dem Haus Freistraße 23 wohnte Julius Moses mit seiner Frau Johanna und ihrem Sohn Siegfried.

Die Eltern von Julius waren der jüdische Kaufmann Samuel Moses und seine Frau Johanna, geb Mathias. In der Hohetorstraße 31 hatten sie ihr Geschäft für Posamenten und Wollwaren. Samuel Moses war 1845 in Seidenberg in Preußen, dem heutigen Zawidów in Polen, geboren worden. Er war auch „Gerichtlicher Sachverständiger für fremde Sprachen“ und in der israelitischen Gemeinde bekleidete er das Amt des „Stellvertretenden Vorstehers der Repräsentanten“. Samuel starb 1918, seine Grabstätte ist auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Eisleben erhalten.

Johanna wurde 1844 im mecklenburgischen Pasewalk geboren. Sie wohnte noch bis zu ihrem Tode 1933 in der Hohetorstraße. Auch ihre Grabstätte ist erhalten.

Ihr erstes Kind, Minna, kam 1880 in Halle zur Welt und besuchte die 1. Bürgerschule in Eisleben. Minna starb schon 1902 an der „Zuckerkrankheit“. Dann gab es noch einen Sohn Gustav, der als Säugling starb.

Julius, Johanna und Siegfried

Julius war das mittlere der drei Geschwister. Er wurde am 4. Dezember 1882 in Eisleben geboren. Er wurde Kaufmann und half zunächst im Geschäft seiner Eltern.  Er wohnte ohnte 1901 in der Lindenstraße 17 und 1912 in der Hohetorstraße 31 (Handlungsgehilfe). Von 1914 bis 1918 kämpfte er für Deutschland im 1. Weltkrieg und kehrte mit dem Verwundetenabzeichen heim. 

 

1920 heiratete er Johanna Wolff. Sie war 1887 in Woldenberg in der Neumark, dem heutigen  Dobiegniew in Polen, geboren worden. Ihr erstes Kind kam 1920 tot zur Welt. 1925 folgte der Sohn, den sie wohl in Andenken an den Großvater „Siegfried Samuel“ nannten. 

 

Julius blieb bis ungefähr 1930 im Geschäft der Eltern, dann wechselte er zum Kaufhaus Goldstein in der Sangerhäuser Straße und wurde dort kaufmännischer Angestellter in der Stoffabteilung.

 

Als der Inhaber des Kaufhauses, Jacob (Benno) Goldstein 1934 seinen 70. Geburtstag feierte, lud er auch viele seiner Angestellten ein. Dabei entstand ein Gruppenbild, bei dem Julius und Johanna weit vorne und dicht bei den Goldsteins saßen. Daher wird Julius wohl einer der leitenden Angestellten gewesen sein.

 

 

In der jüdischen Gemeinde übte er das Amt eines Repräsentanten (1936) aus und war 1932 Vorsitzender des Vereins für Wohlfahrtspflege „Chewrath Gemillus Chassodim“, der Unterstützung bei Todesfällen bot. 1938 war er Rendant der Gemeinde.

Anfang der dreißiger Jahre zog die Familie dann von der Hohetorstraße in die Freistraße 23. Die Wohnung lag im ersten Stock über dem Geschäft des Fleischers Becker. Mit der Familie Becker hatten die Moses ein freundschaftliches Verhältnis, wie uns Frau Schaller, die Tochter des Fleischers erzählte.

Siegfried Moses

Siegfried besuchte erst die Grabenschule und dann die Mittelschule am Rühlemannplatz. Seine ehemaligen Klassenkameraden Herr Helmut Seidel und Herr Bodo Nickel erinnern sich an ihn als einen etwas schüchternen Jungen.

Frau Schaller erzählte uns, dass eines Tages die Jungs vom Wehrdienst heimgekommen seien.  Im Hof wurden Fotos zusammen mit den Kindern gemacht. Siegfried war auch dabei. Er durfte die Soldatenmütze aufsetzen.

Fleischermeister Becker mit seiner Familie. Etwas versteckt in der 2. Reihe steht Siegfried Moses. Etwa 1937.

Das Judenhaus

Die Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten setzte unmittelbar mit deren Machtergreifung 1933 ein. Was die Familie Moses in den folgenden Jahren erdulden musste wissen wir nicht im Detail. Sie hatten im Gegensatz zu den viele anderen jüdischen Familien in Eisleben keinen eigenen Laden und boten vielleicht deshalb zunächst kein direktes Angriffsziel. Aber Anfang 1938 mussten die Goldsteins ihr Kaufhaus und all ihr sonstiges Eigentum verkaufen und das Land verlassen. Spätestens im November 1938 wurde Julius Moses von den neuen, „arischen“ Eigentümern entlassen. 

 

Wer konnte, flüchtete aus Deutschland. Warum nicht die Familie Moses? Noch 1939 bezahlte Julius treu seine Kirchensteuer an die jüdische Gemeinde. Eisleben. Zu dieser Zeit waren fast alle seine Glaubensgenossen entweder gegangen oder zahlungsunfähig.

 

Sie hielten durch bis 1941, dann mussten sie in das so genannte „Judenhaus“. Das Haus der Eheleute Bratel in der Rammtorstraße 49 wurde zur letzten Zufluchtsstätte der noch ansässigen Juden.

Deportation und Tod

Am 15. April 1942 mussten alle Eisleber Juden in das so genannte jüdische Altersheim in der Boelckestraße nach Halle umziehen. Ein Augenzeuge beschrieb, wie die Gruppe den Weg durch den Stadtgraben zum Bahnhof nahm. 

 

Der Todeszug kam am 1. Juni 1942 von Kassel. In der zweiten Hälfte des Transportes befanden sich ungefähr 500 Juden aus den Bezirken Halle-Merseburg und Chemnitz, allein 155 Juden aus dem Gau Halle-Merseburg, darunter 131 Menschen aus dem Stadtgebiet von Halle und 24 Personen aus dem weiteren Bezirk. Der Internationale Suchdienst verzeichnet hier 2 Menschen aus Bitterfeld, 9 aus Eisleben, 2 aus Naumburg, 4 aus Weißenfels, 1 aus Paltzsch, 2

aus Klostermansfeld, 2 aus Querfurt und 2 unbekannten Wohnorts.

 

Der Transport wurde in Lublin auf dem Nebengleis „selektiert“. Dabei wurden etwa 98 bis 115 Männer im Alter zwischen 15 und 50 Jahren aus dem Transport ausgesucht und in das Lager Majdanek eingewiesen, wie ein Überlebender bezeugt hat.  

 

Zu ihnen  gehörte auch Siegfried Moses, der Sohn von Johanna und Julius Moses. Im Lager Majdanek überlebte er keine drei Monate. Er wurde am 27 September 1942 ermordet. Siegfried Samuel Moses war erst 17 Jahre alt.

 

Vermutlich ist der Zug sodann direkt zu dem Vernichtungslager Sobibór geleitet worden. Dort kam er am 3. Juni 1942 an. Die Insassen wurden unmittelbar anschließend ermordet. Darunter waren auch Julius und Johanna Moses aus Eisleben.

 

Memorandum

Das Haus Freistraße 23 (2008).

Aus dem Eisleber Adressbuch von 1912.

Das Grab von Samuel Moses (1845 – 1918) auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Eisleben.

Julius und Johanna Moses 1934.

Das Kaufhaus Goldstein, Sangerhäuser Straße in Eisleben.

Siegfried mit der Soldatenmütze.

Das Haus der Familie Bratel in der Rammtorstraße 49 wurde 1941 zu Judenhaus.

Vernichtungslager Sobibor.